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1.Einführung
Der Klimawandel ist ein zentraler Treiber der Nachhaltigkeit. Über Jahre vergessen, dass gerade die Smart-City-Bewegung aus ökologischer Perspektive entstand, gehört “Nachhaltigkeit” seit rund zwei Jahren wieder zu den Narrativen der technologischen Fortschrittsdebatten. In diesem Zusammenhang wird oftmals nach einer Unterstützung durch neue Technologien gesucht. Zentrale Hoffnungen im Zusammenhang mit Künstliche Intelligenz (KI) sind beispielsweise:
- Optimierung der Netzauslastung bei Smart Grids
- Präzisionslandwirschaft
- Optimierung von Verkehr und Lieferketten
- Autonome Elektromobilität
- Klima- und Wettermodellierung
- Optimierung energieintensiver Prozesse in der Industrie 4.0
Den Potenzialen steht einerseits der Energie- und Ressourcenverbrauch der KI-Systeme selbst gegenüber und andererseits Umkehreffekte, wenn aufgrund von Kosten- und Ressourcenersparnis beispielsweise Nachfrage und Angebot steigen. Doch was bedeutet das in dem kommunalen Umfeld einer “Smart City”? Gibt es konkrete und sinnvolle Nutzungsbeispiele? Wie kann erreicht werden, dass KI zum Wohle des Menschen und seiner Umwelt und damit auch im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen eingesetzt werden kann?
Dazu ordnen wir den Begriff der Nachhaltigkeit folgendermaßen ein:
„Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
(Brundtland-Report, 1987)
Bezogen auf den Menschen zielt Nachhaltigkeit also auf eine Generationengerechtigkeit ab, “Was hinterlassen wir nachfolgenden Generationen?”. In Zeiten des Klimawandels bedeutet das, dass die gesamte Menschheit pro Jahr “nur eine Erde an Ressourcen” verbrauchen sollte. Auf dieser Basis wird “Nachhaltigkeit” durch die Aspekte: Ökologie, Ökonomie und Soziales konkretisiert. Ergänzt werden diese durch die Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz.
- Effizienz: Sie richtet sich auf eine verbesserte Nutzung von Materie und Energie, also auf Produktivität von Ressourcen.
- Konsistenz: Sie richtet sich auf naturverträgliche Technologien, welche die Stoffe und die Leistungen der Ökosysteme nutzen, ohne sie zu zerstören.
- Suffizienz: Sie richtet sich auf einen geringeren Ressourcenverbrauch durch eine Verringerung der Nachfrage nach Gütern.
Wie kann der technologische Fortschritt und ganz konkret KI hier nachhaltig unterstützen?
Die rapide steigende Nutzung von Technik in unserem Alltagsleben sollte das bekannte Nachhaltigkeitsdreieck erweitern. Dies ist wichtig, da es die Wirklichkeit und die dahinterliegende Frage der “digitalen Balance” mit abbildet.
Mit Hilfe steigender Datenmengen können bekannte Datenanalyse-Fähigkeiten verbessert und neu entwickelt werden. Neben immer genaueren Analysen unter anderem im Bereich von Vorhersagen finden nun Entwicklungen in Richtung selbständig entscheidender Computer-Algorithmen statt, die sich durch “Training mit Daten” in Richtung kognitiver Intelligenz entwickeln. Mit Hilfe dieser Mengen an Daten steigen die Einsatzmöglichkeiten, welche in Bereichen wie Dokumentenrecherche, Erkennungsalgorithmen oder Merkmalserkennung wie Gesichtserkennung bereits standardmäßig im Einsatz sind. Einsatzgebiete von KI werden im kommunalen Raum immer sichtbarer. So kann KI unter anderem im Bereich intelligenter Energienetze, im Verkehr zu speziellen Routenoptimierungen oder zur Dokumentenverwaltung eingesetzt werden.
2. Nachhaltigkeit und KI im kommunalen Kontext:
Zwei Fallbeispiele
Richtet man den Blick auf aktuell existierende Anwendungsfelder von KI im kommunalen Kontext mit Bezug zu Nachhaltigkeitszielen, sind zwei wesentliche Tendenzen erkennbar:
- Die meisten Beispiele beziehen sich auf den Smart City-Bereich. Also auf Kommunen, die über intelligente technische Lösungen verfügen, die auf in Echtzeit vernetzten Systemen zur Datengewinnung basieren und eine starke Infrastrukturausrichtung aufweisen.
- Ökologische und ökonomische Nachhaltigkeitsaspekte sind bislang besonders stark ausgeprägt – allen voran die Handlungsfelder Mobilität beziehungsweise Verkehr mit den dabei anfallenden Emissionen und dem Energiesektor. Aus diesen Handlungsbereichen stammen daher auch die folgenden beiden Anwendungsbeispiele.
Use Case: Verkehrsflussoptimierung durch KI
Wenn es um den städtischen Verkehr und die damit verbundenen Emissionen geht, besteht aktuell großes Interesse an KI-gestützter Verkehrsflussoptimierung. Das ist insbesondere seit dem “Sofortprogramm Saubere Luft 2017- 2020” des Bundes der Fall. Bei solchen Projekten liegt der Schwerpunkt aktuell insbesondere darauf, Grundlagen wie Datenplattformen, Sensor-Infrastrukturen und ein adäquates Datenmanagement zu schaffen. Erst mithilfe dieser Basis ist überhaupt an eine KI-basierte Analyse oder gar Steuerung zu denken.
Bei der Suche nach Anwendungsbeispielen, bei denen solche Technologien bereits eingesetzt werden, führt kein Weg an den Leuchtturmprojekten vor allem asiatischer Mega-Metropolen vorbei. Hier lohnt sich beispielsweise der Blick auf die Stadt Hangzhou in der chinesischen Provinz Zhejiang. Die 10 Millionen-Metropole ist Unternehmenssitz der Alibaba Group, eines chinesischen IT-Giganten. Daraus resultierte bereits 2016 der Release des “City Brain” – einer Plattform, die zunächst die KI-gestützte Optimierung des Straßenverkehrs zum Ziel hatte. So wird der Straßenverkehr in Hangzhou mittels Videokameras und Sensoren in Echtzeit erfasst und mit Hilfe einer in die Alibaba Cloud integrierten KI-Plattform analysiert. Auf dieser Grundlage werden Ampeln gesteuert, damit der Verkehr optimal fließen kann, aber auch, um die Anfahrtszeiten von Rettungsfahrzeugen zu verkürzen.
Beim “City Brain” – Projekt standen ursprünglich nicht primär Nachhaltigkeitsziele im Vordergrund. Vielmehr ging es um die Bewältigung der kritischen Verkehrssituation in den Metropolen. Entsprechend stehen bei der Kommunikation der Erfolge neben der Zielerreichung (besserer Verkehrsfluss und weniger Staus) Aspekte wie die technische Leistungsfähigkeit des Systems und seine Effizienz im Mittelpunkt. Eine Bewertung unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten hingegen ist bisher weitestgehend ausgeblieben.
Während der Themenbereich der Verkehrsflussoptimierung im deutschen beziehungsweise europäischen Kontext häufig vor dem Hintergrund der Ressourceneinsparung und Verringerung des Schadstoffausstoßes betrachtet wird, stellt sich die Situation in China anders dar: Hier macht der Einsatz digitaler Technologien einen Urbanisierungsprozess erheblichen Ausmaßes überhaupt erst möglich. In ökologischer Hinsicht wird die rasant ansteigende Kurve des Ressourcenverbrauchs durch innovative Technologien allenfalls abgeflacht
– vorausgesetzt, dass Rebound-Effekte die Einsparungen nicht egalisieren. Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit stehen einer optimierten Rettungsversorgung und kürzeren Pendelzeiten die flächendeckende Videoüberwachung sowie eine nahezu ausbleibende Einbindung der Bevölkerung in die Entwicklung des “City Brain” gegenüber.
Use Case: Smart Grid
Im Kontext des Klimawandels durchläuft der Energiesektor einen großen Wandel in verhältnismäßig kurzer Zeit, was die vorherrschenden Planungshorizonte angeht. Energie und Wärme werden immer stärker integriert und dezentral beispielsweise in Quartieren gedacht. Die Bewohner treten als Produzent:innen und Konsument:innen (Prosument:innen) auf und Energiepreise werden an Energiebörsen in Echtzeit gehandelt. Der Umbau der aktuell fossil-fokussierten Energiebranche in einen komplett CO2-neutralen Energiebereitstellungsprozess ist dementsprechend komplex. Dies hängt unteranderem mit der erforderlichen Infrastruktur für Energie, Wasser sowie Informations- und Kommunikationstechnologie zusammen, aber auch mit den Energiequellen an sich, die zum einen kontrolliert (beispielsweise fossile Kraftwerke) und zum anderen dynamisch (beispielsweise Windkraft) verfügbar sind.
Beiden gemein ist die Stromlieferung über ein Verteilnetzwerk, welches idealerweise Erzeugung und Verbrauch ohne Schwankungen liefert. Da dies gerade bei regenerativen Energien, die von äußeren Bedingungen wie Wind oder Sonneneinstrahlung abhängen, nicht möglich ist, sind Speichermöglichkeiten und eine intelligente Steuerung erforderlich.
Gleichzeitig wird der Energiesektor auf der Abnahmeseite mit Energie- und Wärmebereitstellung gekoppelt, sodass in einem zukünftigen energieneutralen Quartier beispielsweise auch die Steuerung der Heizung und des Warmwassers integriert betrachtet werden müssen. Um diesen Prozess möglichst effizient zu steuern, müssen Erzeugung und Verbräuche vorhergesagt, geplant und möglichst in Echtzeit kontrolliert werden. Gerade der letzte Punkt schafft die gewünschte Anforderungs- und Verbrauchsdynamik. Hinzu kommt der Trend zur dezentralen Energieversorgung. Das ist insbesondere im Quartier der Fall.
KI, und insbesondere das maschinelle Lernen, kann im Bereich von Energieerzeugung und -abnahme unterstützen, indem unterschiedliche Daten, wie historische Daten, physikalische Daten, Wetterdaten, Klimavorhersagen oder auch spezielles Gruppieren von Verbraucher:innen oder Handlungsfeldern einer Kommune ausgewertet und zur effizienteren Steuerung herangezogen werden. Durch entsprechende Vorhersagen ermöglicht dies, Algorithmen, Modelle oder Simulationen in der jetzigen Umbauphase frühzeitig die entsprechenden Energieerzeuger bereitzuhalten oder “hochzufahren”, um Spitzen abzufedern, in denen beispielsweise regenerative Energieträger weniger Energie liefern werden oder können. Auf der ökonomischen Seite kann maschinelles Lernen bei der optimalen Preisfindung unterstützen, indem auch hier den Anforderungen, Marktverläufen usw. mit Hilfe- von Vorhersagen, Modellen oder Simulationen, Energie verbraucht, eingekauft oder verkauft wird. Auf der ökologischen und ökonomischen Seite kann KI beispielsweise auch die Energieerzeugung optimieren, indem beispielsweise Solarpanelen der optimalen Sonneneinstrahlung folgen oder die Rotoren und Blätter der Windräder dem Windeinfall entsprechend optimiert werden.
3. Abschluss und Ausblick
“Technologie soll dem Menschen dienen!”, ist ein oft genannter Satz, der manchmal in Vergessenheit gerät oder lediglich ein “Lippenbekenntnis” ist. Daher ist es wichtig im Themenfeld der Digitalisierung von Kommunen frühzeitig zum technisch-ökonomischen Blick, zusätzlich die soziale und ökologische Perspektive einzunehmen. Es braucht eine “digitale Balance” als zentrales Designprinzip gerade auch bei der Anwendung der KI im kommunalen Raum von Anfang an. Das beinhaltet nicht nur eine ethische Bewertung, wie im Falle von Algorithmen, sondern auch Aspekte wie sinnvolle Datenerhebung, den Energiehunger, den ein Mehr an Technik benötigt und die Frage der Beschäftigungseffekte. Anstelle der Konsumrendite sollte hier viel stärker das Thema der Nachhaltigkeit von Lösungen und Technologien sowie den damit verbundenen Geschäftsmodellen im Vordergrund stehen. Dadurch könnte Vertrauen und Akzeptanz bezüglich dieses kontrovers diskutierten Themas erreicht werden.
Die beiden Fallbeispiele aus dem Verkehrs- und Energiesektor haben exemplarisch verdeutlicht, dass sich Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Digitalisierung bisher weitestgehend auf einzelne Teilaspekte konzentriert. Der Fokus liegt dabei zumeist auf der Ökologie, während technische oder soziale Nachhaltigkeit eher randständig behandelt werden. Auf die Frage, wie digitale Technologien im Allgemeinen und KI im Besonderen zu den klassischen Nachhaltigkeitsaspekten in Beziehung treten können, liefert digitale Balance als Designprinzip folgende Antworten:
- Indem Technologie, Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammengebracht werden, wird aus dem bisherige Nachhaltigkeitsdreieck eine Nachhaltigkeitsraute. Nachhaltiges Handeln bedeutet dann, stets technische, wirtschaftliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Belange zu berücksichtigen und in ein Gleichgewicht zu bringen.
- Das bedeutet auch, die Ressourcenverbräuche und Emissionen, die digitale Technologien verursachen, in die Optimierung anderer Prozesse mit einzukalkulieren (“ressourceneffiziente KI”; Cuno et 2019: 10ff.).
- Standards sind ein wichtiger Baustein technologischer Sie stellen Interoperabilität und die Nachhaltigkeit von Lösungen sicher, beispielsweise eine ökonomische Verlässlichkeit und ökologische Mehrwerte.
- Die Möglichkeit unmittelbarer, wie auch mittelbarer Reboundeffekte, muss bedacht werden. Das bedeutet, dass Mehraufwände an Ressourcen aus ergriffenen Maßnahmen im gleichen beziehungsweise in anderen Handlungsfeldern kritisch reflektiert werden müssen.